Zur Erleichterung über sinkende Corona-Fallzahlen und die Freude über wieder stattfindende Designmärkte mischt sich bei uns seit Kurzem eine gewisse Irritation: Es ist so ungewöhnlich still geworden in unseren Jackentaschen! Die Corona-Warn-App, einst allmorgendliches Gesprächsthema und Garantin für farbbasiertes Unbehagen („Wie viele Rote habt ihr gerade so?“), macht sich in diesen Tagen (zum Glück) immer seltener bemerkbar. Auch komisch! Um also den Weg zurück in die Normalität so normal wie möglich zu gestalten (eine interessante Theorie dazu finden Sie übrigens bei Hans Martin Esser), und auch, um die Wartezeit auf den Essayband von Stefan Zednik über die Oper zu verkürzen (schon jetzt als E-Book erhältlich), präsentieren wir heute eine Weltneuheit im Kadmos-Webshop: die Cello-Hoden-Warn-App. Fulminant ertönt darin bei Risikokontakten das Anfangsmotiv von Beethovens 5. (der Vibrationsalarm ist in der Betaversion vorsorglich deaktiviert). Sollten Sie über einen längeren Zeitraum Kontakt zu Celli haben (Bratschen sind medizinisch unbedenklich), erscheint auf Ihrem Handy die Empfehlung, Abstand zu Streichinstrumenten zu halten und sich bei anhaltenden Symptomen in ärztliche Obhut zu begeben (musikalisch ausgebildete Heilkundige werden ggf. eine Untersuchung auf den verwandten Gitarren-Nippel vorschlagen). Alles über die Diagnose Cello-Hoden, über deren Verbreitung und die Frage, ob die Krankheit wirklich existiert hat, können Sie übrigens in Sophie Seemanns wunderbarem Buch über Verschwundene Krankheiten nachlesen. Begeben Sie sich darin mit Frieselfieber und Alpenstich auf einen medizinhistorischen Streifzug – oder lesen Sie hier weiter über unsere Neuerscheinungen.
Druckfrisch und thematisch passend erschien im Mai das Buch Die Genesenden. Medical Humanities Revisited von Patricia Gwozdz. Es versammelt Essays zu Schriftsteller-Ärzten des 20. Jahrhunderts aus Deutschland, Frankreich und Spanien, die aus der Perspektive ihres klinischen Erfahrungswissens fiktionalisierte Prosa über menschliche Genesungs- und Verfallsprozesse zur Darstellung bringen. Dabei stehen auch die Fragen im Zentrum, wie sich medizinisches Wissen durch literarische Inszenierung verwandelt und welche poetologischen Prozesse die Autoren in ihrer Literatur entwickeln, um Medizin und Literatur miteinander zu verbinden.
Des Weiteren wurde kürzlich der Band Kommunismus autobiographisch ausgeliefert. Herausgegeben von Tatjana Hofmann, Anne Krier und Sylvia Sasse versammelt er literarische, philosophische und literaturwissenschaftliche Texte zum autobiographischen Schreiben nach 1989. Nach dem Jahr haben wir es in Osteuropa mit einem regelrechten autobiographischen Boom zu tun, der bis heute andauert. Autorinnen und Autoren öffneten die Schubladen, überarbeiteten längst geschriebene Manuskripte, rekonstruierten, erinnerten und experimentierten mit autobiographischem Material. Die entstandene Gegen-, Mikro- und Privatgeschichte zeigt, dass Geschichte nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden kann, sondern dass sie je nach Erzählweise und ästhetischen Verfahren auch anders erscheint.
Wir freuen uns sehr, dass außerdem Marie Parakenings’ wunderschön illustriertes Buch über die Berliner Tiere wieder lieferbar ist, und zwar in 3. Auflage. Der kleine Guide für Naturbanausen und Stadtkinder beschreibt in kurzen, informationsgeladenen Kapiteln das Großstadtleben von Weinbergschnecke, Stieglitz, Eichhörnchen und Co. und zeigt so eine etwas andere Art des »wilden Berlins«. Geeignet für Alteingesessene und Neuankömmlinge mit einem Faible für unnützes, aber gleichsam herrlich unterhaltsames Wissen.
Wieder lieferbar sind außerdem Algorhythmisiert. Eine Medienarchäologie digitaler Signale und (un)erhörter Zeiteffekte von Shintaro Miyazaki und Im Taumel der Nacht. Urbane Imaginationen, Rhythmen und Erfahrungen von Michel Massmünster. Lange Nächte bescheren Ihnen dann auch diese Titel, die neuerdings als E-Book erhältlich sind: Wittgensteins Sprachspiel der Emotionen von Anna Stuhldreher, Katastrophen hören. Experimente im frühen europäischen Radio von Katja Rothe sowie (natürlich) Im Taumel der Nacht.
Zuletzt weisen wir Sie schon mal auf unsere neue Kalender-Kollektion hin. Egal ob Sie Streetart-, Statis-Tick-, Alpaka- oder Esel-Fan sind – in Kadmos’ koolen Postkartenkalendern finden Sie ganz bestimmt ein für Sie passendes Format. Denn auch der große Meister und Inspirationsgeber für diesen Newsletter Beethoven sagte ja einst: »Der Mensch besitzt nichts Edleres und Kostbareres als die Esel.« Oder so.
Herzliche Grüße
Ihr Wolfram Burckhardt
und das Team des Kulturverlags Kadmos